Take me with you!


„I don’t want to stay around when you’re gone“
(Lyn Christopher – Take me with you)

(Pikanterweise entstanden: Frühsommer 2024)

Alle Flüchtlinge aus Burma, ganz egal, ob Chin-Kuki in Mizoram und Manipur, Mon in Sangkhla Buri, Karenni in Mae Hong Son oder Karen und Burmesen in Mae Sot, verbindet ein Problem, das sie auch mit ihren Genossen in Deutschland und der Schweiz gemein haben:
Das Fehlen eines Passes.
Doch während die Schweiz Wirtschaftsflüchtlingen aus Afrika eine höhere Priorität einräumt als politisch Verfolgten aus Deutschland, da die BRD de jure als Rechtsstaat gilt, unterschrieb Thailand vielerlei Konventionen einfach gar nicht.
Daher heißen Flüchtlingslager hierzulande nicht „refugee camps“, sondern „temporary shelters“.

Das größte Flüchtlingscamp Thailands: Mae La

Und wer mit den Burmesen im Loot Lat Yay Café (Burmesisch: Freiheit) spricht, meist junge Leute zwischen 18 und 35 Jahren aus Yangon und Bago, oder dem ein oder anderen angeschossenen Kämpfer der KNLA, der nun in Mae Sot kellnert, dem wird schnell klar, dass sie sich nicht wahrhaft frei bewegen können.
Schließlich sind sie illegal im Land. Meist müssen Treffen innerhalb eines engen Radiuses vereinbart werden.
Ihre Pässe verloren sie meist schon in Myanmar. Entweder sind sie schon zu lange in Thailand und die Pässe sind ausgelaufen, oder sie wurden ihnen an irgendeinem Checkpoint vom Militär abgenommen.

Loot Lat Yay Café
The fighting peacock flag

Einer von ihnen war beim burmesischen Militär, arbeitete dort als Ingenieur und desertierte im April 2021, also wenige Wochen nach dem Coup.
Er lebt nun in Thailand und verkauft Glücksspiellose. Doch frei bewegen kann auch er sich nicht, wenn er nicht zahlt.
In Thailand ist die Polizei, wie überall in Südostasien, chronisch unterbezahlt und notgedrungen korrupt. Nicht umsonst nennt sich der Top-Cop Thailands „Big Joke“, und angesichts meiner Anzeige in Deutschland und des Verhaltens der Polizisten kann man nur sagen, dass die Thailänder zumindest noch ehrlich zu sich selbst sind1.
Doch nach Berichten von mehreren Flüchtlingen, egal, ob mit oder ohne Aufenthaltsgenehmigung, pflegen die Polizisten in Mae Sot einen kleinen Side-Hustle.

Circa neun Baht verdient man pro verkauftem Glücksspiellos
Eine Zigarette mit Süßstoffen im Filter

Das Geschäft läuft so:
Wer sich tagsüber bis 9 Uhr abends mehr oder minder gefahrlos auf den Straßen Mae Sots bewegen möchte, muss zahlen: 1.300 Baht pro Monat. Macht 145 verkaufte Lose. Wer dennoch aufgegriffen wird, muss dem entsprechenden Polizisten lediglich die Nummer seines Verbindungsmannes zeigen. Was in dem anschließenden Telefonat besprochen wird, konnten mir die Flüchtlinge auch nicht mehr genau sagen.
Nach 9 Uhr abends darf sich niemand mehr draußen bewegen. Wer es doch tut, riskiert, verhaftet zu werden, wobei die Abschiebung droht. Auch tagsüber drohen, trotz Zahlung, willkürliche Verhaftungen durch den ein oder anderen Polizisten in Geldnöten. Die Handys werden konfisziert, sodass der bereits bezahlte Ansprechpartner nicht kontaktiert werden kann. In der Regel ist dies auch in Deutschland der Fall, doch in Thailand gibt es eine „Du kommst aus dem Gefängnis frei“-Karte. Gegen eine weitere Zahlung in Höhe von 10.000 Baht ist es möglich, sich aus dem Deportationsknast freizukaufen. In der Regel sitzt man noch bei der normalen Polizei in Untersuchungshaft und nicht bei der Immigration Police, die noch größere Probleme verursachen würde.
Viele Flüchtlinge riskieren bei Deportation, beispielsweise weil sie an Demonstrationen teilgenommen haben oder, wie beschrieben, desertierten, eine mehrjährige Haftstraße. 15 Jahre oder so, meinte der Deserteur, würden ihn in Burma erwarten2. Also zahlt er. Die Polizisten kennen die Situation genau. Es ist eines der florierenden Geschäfte, die der für Mae Sot eher schädliche Coup mit sich brachte.

Polizeistation Mae Sot/ Polizei Thailand

Zuvor nutzten noch viele Touristen die Möglichkeit, über Mae Sot nach Myanmar einzureisen und ihre Reise dort fortzusetzen. Doch heutzutage ist dies nicht mehr möglich. Die Grenze ist seit Juli 2023 für Visa Runs endgültig geschlossen. Thais können die Friendship Bridge zwischen Mae Sot und Myawaddy, solange keine Kämpfe stattfinden, in der Regel noch überqueren. Weiter als Myawaddy kam man seit dem Coup ohnehin nicht mehr, und so brach die aufstrebende Hotel- und Tourismusindustrie Mae Sots seit Corona schnell wieder ein.
Zwar hat Mae Sot viel zu bieten, denn, wenn es eine Stadt gibt, die multikulturell genannt werden darf, dann wohl Mae Sot, doch mit dem idyllischen Mae Hong Son kann es nicht mithalten, und selbst diese Oase des Nordens hat, ob der angrenzenden Ex-Hippie-Hochburg und Partystadt Pai, in der Polizisten ihr Geld mit opium- oder methrauchenden Touristen verdienen, zu kämpfen.
In einer Stadt wie Mae Sot, in der die meisten Flüchtlinge aus Myanmar ankommen, sind die Flüchtlinge das Geschäft.
Und so sind es nicht nur die Frauen des Isan, die begierig auf einen Farang-Husband warten, der sie mitnimmt, sondern auch burmesische Flüchtlinge, seien es nun ehemalige Kämpfer der Karen National Liberation Army oder Burmesen, die verzweifelt auf einen Job als „Bodyguard“ spekulieren oder als ehemalige Kontaktperson der Konrad-Adenauer-Stiftung begierig hoffen, wieder nach Berlin mitgenommen zu werden.
Take me with you!
Fraglich bloß:
In welche Richtung?
Yangon oder Berlin?3

  1. Die deutsche Polizei ist chronisch überbezahlt, verbeamtet, fährt im schicken BMW durchs Land und gönnt sich vom Achtgroschenlohn die ein oder andere Currywurst zu viel, anstatt die von Baerbock in Asien so häufig eingeforderten Menschenrechte zu verteidigen. Sagen wir Grundrechte. Denn nur die Grundrechte sind in der Regel von einem nationalstaatlichen Souverän verbürgt. In diesem Fall: von der BRD, und ich verlor meine bereits vor sechs Jahren.
    Nachtrag:
    Pikanterweise, ja pikanterweise, entstand dieser kurze Text, den ich nicht vor Ort veröffentlichen wollte, noch in Mae Sot. Nach der Rückkehr hatte ich mit den deutschen Top-Cops Big Jokes zu kämpfen, deren Niederträchtigkeit nicht zu überbieten ist.
    Anzeigen werden nicht bearbeitet, Aussagen nicht protokolliert, SLAPP-Suits mit Inbrunst investigiert, auf eine Anzeige wegen Vergiftung empfahl man den Suchtberater. Stellungnahmen meinerseits zu dem Symbol des Raelismus, welches ich in Mae Sot fotografierte, werden von der Dorfpolizei gar nicht mehr an K14 weitergeleitet: Man liest nicht einmal mehr meine E-Mails, obwohl ich meine Anzeigen über diesen Weg senden sollte. Das ist eklatante Arbeitsverweigerung. Dafür passte mich K14 wenige Monate später vor der Haustür ab, um über ebenjenes Symbol zu reden, welches im asiatischen Kontext nun einmal eine völlig andere Bedeutung hat, beispielsweise: Ausgeglichenheit (Davidstern), Sieg (Hakenkreuz), Aufstieg von etwas Neuem (Sonne).
    Das Verhalten der deutschen Polizei lässt sich in folgendem Bonmot zusammenfassen:
    German police be like:
    „I’m poisoned again and stalked in my job, evicted from apartments“: no reaction.
    But hey: someone scribbled something against the railroad museum
    ↩︎
  2. Dennoch: In meinen Augen ist er ein Feigling, da er sich nicht, wie ich, der Diktatur im eigenen Land stellt bzw. „vor seinen Problemen davonläuft“ (J. B.). ↩︎
  3. Ergo: wer spricht zu wem? ↩︎

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