Pallywood in Thailand: Wat Fah Wiang Inn


Guns not monks on both sides of the border!

Wer in Deutschland den gymnasialen Sozialkundeunterricht besuchte, dem dürfte das Bild des Soldaten, der sein automatisches Maschinengewehr auf einen knienden Zivilisten richtete, nicht erspart geblieben sein. In der zweiten, breiteren Version des Bildes zeigte sich, dass der Soldat ihm in Wahrheit eine Flasche Wasser reichte. Mit dererlei Bildern versucht das Kultusministerium die Schüler mit den Methoden der Propaganda vertraut zu machen, die sie später als Mitarbeiter der Öffentlich-Rechtlich in Orten wie Račak oder Butscha anwenden sollen, um Hauptschulabgänger in ihrem Dasein festzuhalten. In Israel nennt man das wohl Pallywood und zeigt mit dem Finger auf Al Jazeera, doch die Methode findet sich überall von Russia Today bis Arte.

Und somit war es wahrscheinlich unvermeidlich, dass eine Forschungsreise in die thailändisch-burmesische Grenzregion, den einen oder anderen „Presseköter“ (K. Kraus) als reißerischen Pinocchio enttarnt:
„In a different world, Wat Fah Wiang Inn would symbolize the power of faith to transcend the borders between two largely Buddhist nations. Trust and tolerance, not guns, would hallmark this monastery straddling the Myanmar and Thailand border in the hazy Shan Hills, which stretch from Yunnan in China through Myanmar and into Thailand. Instead, the Myanmar military has built bunkers, dug deep trenches and layered pits with bamboo stakes on the Myanmar side of the border, surrounding a seven-tiered ordination hall whose Buddha statue faces a pagoda a few meters away in Thailand.“ (Lorcan Lorvett, contributing writer for Nikkei Asia)


Ein Blick auf die thailändische Seite der Grenze entlarvt den Artikel als Trompel’œil:

(All Photos by Polemikos)
Thailändische „deep trenches“ mit bester Aussicht auf den Wat Fah Wiang Inn (All photos by polemikos)

Angesichts all der „guns“ und „deep trenches“ ist die Nutzung eines bereits bestehenden Gebäudes auf einem strategisch höher gelegenen Hügel keineswegs ein Skandal oder eine erwähnenswerte Eskalation der Lage. Insbesondere dann nicht, wenn der Tempel bereits im Jahre 2002 als Basis des burmesischen Militärs diente und zuvor die SURA Mo Hengs (später Teil Khun Shas Mong Tai Army) über das Gebiet herrschte.
Der „Tintenstrolch“ (K. Kraus) Lovett, der hier und da auch für den renommierten Guardian publiziert, fährt fort:
„Now a construction worker living on the Thai side of the border, the 35-year-old recalls the Tatmadaw, as Myanmar’s military is known, seizing the territory on the Myanmar side of the border from Shan rebels in the early 2000s.“ (ebenda)
Etwas weiter unten erfährt der konzentrierte Leser in einem Halbsatz kurz, dass der „druglord Khun Sha“ einst über das Gebiet herrschte, welches sein Nachfolger, der (nicht als solcher bezeichnete) Restoration Council of Shan State (RCSS), später wieder verlor.
Kein Wort davon, dass der RCSS immer noch an dem vom Westen forcierten Nationwide Ceasefire Agreement des Reformprozesses festhält, welcher sich indes geopolitisch erübrigte.
Kein Wort davon, dass die Shan von den Amerikanern und den Thais als Puffer gegen Burmesen und kommunistische Rebellen ausgebeutet wurden1, was den gegenwärtigen Verlauf der Grenze – „in the 1960s, the position of the border was unclear“ (Lovett) – überhaupt erst ermöglichte.
Kein Wort davon, dass die CIA einst mit ihren burmesischen Kollegen Tennis spielten; Zeiten, in denen Reformen und „intel“ über Drogendealer wichtig waren, als die völkische Rebellion der Hill Tribes, die der Lovett nun nach dem Ende des Endes der Geschichte wiederentdeckt.
Kein Wort also davon, dass die USA selbst die Shan unter Khun Sha fallen ließen, nachdem sie jahrzehntelang Spezialoperationen mit ihren Heroinschmugglern exekutierten, um zusammen mit der neuen industriellen Klasse Thailands2 Druck auf das thailändische Militär auszuüben, den „schlimmsten Feind der Welt“ zu „vernichten“ (Houellebecq), was es den Wa und der Tatmadaw überhaupt erst ermöglichte, in dieses Machtvakuum vorzudringen.

Das Grab des respektablen Gründers der SURA, Moh Heng, Freund Khun Shas und der heroindealenden Kuomintang. Eine Geschichte so harmonisch wie der Lorvett das Zusammenleben von Pa’O, Lisu, Shan und KMT-Chinesen in Piang Luang schildert3. Man kann nur hoffen, dass die Burmesen mit ihrer Form der „Thaification-Policy“ ähnlichen Erfolg haben werden.

Dagegen erfährt man – nebst all der fragwürdigen „oral history“ – viel über das National Unity Government (NUG) und kämpfende Burmesen, doch spielen die, wenn überhaupt, irgendwo im Norden des Shan-Staates als frische Rekruten der MNDAA eine Rolle. Im Süden des Shan-Staates gibt es nur EAOs, die sich gegenseitig bekämpfen, und an diesem Punkt der Analyse, bei dem Konflikt zwischen (der mit den Splittergruppen der Communist Party of Burma verbündeten) SSPP und (der antikommunistischen) RCSS, haben die heutigen Nato-Schreiberlinge eine signifikante Erbschuld aufzuarbeiten, wie Margot Friedländer sich ausdrücken würde.4

(All Photos by Polemikos)
Ein Grenzposten mit der Flagge des Shan-Staates vor dem Flüchtlingslager Loi Kaw Wan

Die Situation der Shan-Flüchtlinge von Kong Moong Murng Thai bis Loi Kaw Wan mag tragisch sein und scheinbar eine Herzensangelegenheit Lovetts, aber keines ihrer sechs Flüchtlingslager im Grenzgebiet ist von der UN oder Thailand als solches anerkannt, und Koung Jor auf thailändischer Seite, wo der Lovett sich aufhielt, ist ähnlich wie Dschabalia (aged well: wie Dschabalia war) indes eine Siedlung mit gemauerten Häusern und höherem (Lebens-)Standard als manch burmesisches Fischerviertel in Kawthaung, und wird es im Gegensatz zu Dschabalia auch bleiben.

Das Shan-„Flüchtlingslager“ Koung Jor:

(All Photos by Polemikos, neue Fotos aus dem Jahr 2024: Vgl. Reiseberichte)

Ein ärmliches Fischerviertel in Kawthaung:

Trompe-l’œil? Beweise?
Weitere Bilder wurden mit Rücksicht auf die Lesbarkeit des Textes vermieden – auf Anfrage! (polemikos.org)

Wer das Pech hat sich nach dem Gymnasium für ein Bachelorstudium der Soziologie zu entscheiden, der wird lernen, dass institutionalisierte soziale Organisationen, wie die Presse, nicht nur zur Verteidigung ihres Standes eine „Gatekeeping-Funktion“ (Prof. Weyand) ausüben. Vielmehr würde das Gatekeeping eine gewisse Qualitätssicherung gewährleisten.
Folglich bliebe nur die Frage zu klären: Der freien Presse oder Pallywoods?
Sapere aude!
Doch möglicherweise ist es viel banaler.
Ja, vielleicht handelt es sich bei diesem Spiel mit den Narrativen gar nicht um sinistre oder bewusste Manipulation – blanke Geschichtsklitterung -, sondern um eine Mischung aus Unfähigkeit und Borniertheit.
Ich möchte keineswegs der baudrillardschen Gegenaufklärung einer Macht des Bildes das Wort reden, in diesem Fall hätte es genügt weiter Al Jazeera zu glotzen5, doch wie ein Blick auf das Twitter-Profil des Qualitätsjournalisten zeigt, ist er noch recht jung. Da kann es schon einmal passieren, zu übersehen, dass das gesamte Grenzgebiet von Ao Manao bis Chiang Khong beiderseits der Grenze stark militarisiert ist.
Dies auch aufgrund des massiven Drogenschmuggels. Schließlich befinden wir uns im Goldenen oder sollte man sagen: Kristallinen Dreieck?
An der Grenze zu Shan-Staat, dem größten Amphetamin- und Heroinproduzenten6 Myanmars und ganz (Süd-)Ostasiens, dem seit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan wieder globale Heroin-Marktpotenziale offenstehen?
Wie dem auch sei. Haarspalterei. Zu oft entblößt sich das Wahrheitsmoment des Begriffs der Lügenpresse als unbewusste Inkompetenz:
Sie tun es, aber sie wissen es nicht.
Augenscheinlich hat Nikkei Asia keinen Asienexperten in der Redaktion sitzen, der bei der Abnahme bemerkt hätte, dass der Text, der doch so perfekt in das Narrativ passt, auf das man sich bei Atlantic Council, Atlantikbrücke & Co. einigte, leider nicht mit der faktischen Realität bzw. Geschichte vor Ort übereinstimmt. So findet sich kein Wort davon, dass die traditionell mit China verbündete UWSA nur 33 Tage vor der Veröffentlichung des Artikels etwas weiter nördlich im Mong Hsat Township gegen die RCSS kämpfte, was eine beidseitige Militarisierung der Grenze zumindest nicht mehr ganz so irrational erscheinen lässt. Vielmehr wären weitere UWSA-Basen auf burmesischer Seite nicht im Interesse der Thailänder. Denn der RCSS Yawd Serks, dessen rechte Hand noch vor 17 Jahren mit Heroin auf dem Weg nach Chiang Mai verhaftet wurde, ist militärisch auf dem absteigenden Ast und von Gott & den USA verlassen. Durch die Armeebasis wortwörtlich.

Geschrieben in einem Amsterdamer Coffeeshop: November 2023.

  1. Noch dem RCSS wurden Verbindungen zum thailändischen Geheimdienst nachgesagt, die Shan waren als Dai-Ethnie seit jeher ein Liebling des Militärs, und Peking misstraute der Gruppe aufgrund ihrer Vergangenheit als antikommunistischer Proxy (Vgl. SURA, Khun Sha selbst), was sich insbesondere inmitten des Reformkurses, während Yawds Expansion in den Norden des Shan-Staates, manifestierte.
    Der RCSS kämpfte seit dem Coup, im Gegensatz zu ihren „Verbündeten„, der Pa-O National Organization, nicht gegen amerikanische Proxies, wie beispielsweise die Karenni Army, hält sich jedoch mangels militärischer Alternativen an das NCA (Vgl. Polemikos: Southern Wa & The Politics of Amphetamines), und spielt ansonsten eine interessante Rolle in den Reibereien (und unvermeidbarem Informationskrieg) zwischen TNLA und SSPP, über denen sich die traditionell verfeindeten Shan-Armeen wieder näher kamen. Interesse an „SitRep“? Redaktion@Polemikos.org! ↩︎
  2. Vgl. grenzübergreifender Handel mit Myanmar. ↩︎
  3. „In Piang Luang, walled courtyards featuring Chinese characters stand next to Shan temples and shops selling brightly colored ethnic scarves. The peace in the town, and in the ocher-colored settlements that nest in neighboring valleys, has eluded Myanmar for decades. Many in Piang Luang fear it will continue to do so for years to come.“
    (Lovett) ↩︎
  4. Ein Zitat hierzu, welches auch in einem der vielen Hill-Tribe- und Opium Museen seinen angemessenen Platz finden könnte:
    „The CIA played an equally cynical role inside the Shan states. Although it too had [and has] no real interest in an independent Shan [Karenni/Karen etc.] land, the CIA supported individual rebel armies to accomplish its intelligence gathering missions inside China. Without the CIA’s tolerance of its opium-arms traffic, the Shan National Army could never have occupied so much of Kentung state. However, the CIA refused to grant the SNA enough direct military aid to drive the Burmese out of the state and reestablish public order. During the 1950s the CIA had tried to turn the eastern Shan states into an independent strategic bastion for operations along China’s southern frontier by using KMT troops to drive the Burmese army out of the area. But after the KMT were forced out of Burma in 1961, the CIA apparently decided to adopt a lower profile for its clandestine operations. While direct military support for the SNA might have produced new diplomatic embarrassments, an informal alliance and the resulting breakdown of public order in Kengtung were compatible with CIA interests.“
    (Alfred McCoy, Einschub: Polemikos)
    ↩︎
  5. Die Reise in ein Kriegsgebiet würde Baudrillard wohl als heucherlischen Versuch ansehen, zwischen wahren und falschen Bildern zu differenzieren (Vgl. Baudrillard, The Gulf War Did Not Take Place, S. 46-47), wo doch alle Sprache „Lüge“ (Nietzsche, Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinnen) sei. Er selbst analysierte den Irak-Krieg 1988 kohärenterweise auf CNN, doch terminiert das „Alles des unterschiedslos totalen Ideologiebegriffs im Nichts. Sobald er von keinem richtigen Bewußtsein sich unterscheidet, taugt er nicht länger zur Kritik von falschem.“ (Adorno, ND).
    Fraglich bloß, ob man hinkommt, wo man hinmöchte. Doch ist dies nicht der Macht des Bildes anzulasten, sondern der Macht der Gewehrläufe (oder – leider wortwörtlich – ihren Hunden).
    Fatal, den Propagandisten der Gewehrläufe zu unterstellen, nur sie wären sich der Verdorbenheit jedweder Information bewusst (Vgl. Baudrillard, The Gulf War Did Not Take Place, S. 47). ↩︎
  6. Fentanyl, Ketamin, MDMA, etc.: all inclusive. ↩︎

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert